Music made them fly…

Nach 30 Jahren musiclab liegt es auf der Hand, mal nachzuspüren, wo sich unsere ex-musiclab-SchülerInnen heute so tummeln. Die musikalischen Biografien, Erfahrungen und Tipps sind erstaunlich – danke an alle TeilnehmerInnen. Die Serie wird kontinuierlich fortgesetzt.

Teil 4: Mareike Makosch
Teil 3: Julian Maier-Hauff

Teil 2: Ingo Hipp
Teil 1: Frederik Heisler

TEIL 4: AUF DER BÜHNE KANN EIGENTLICH ÜBERHAUPT NICHTS SCHIEFGEHEN –
MAREIKE MAKOSCH (PSYCHOLOGIN, JOURNALISTIN, SÄNGERIN UND SCHLAGZEUGERIN),
SEPTEMBER 2024

Musik hat mir immer mehr Energie gegeben, als sie mich gekostet hat.“

Mareike Makosch hat Psychologie in Freiburg und Heidelberg studiert, als Wissenschaftliche Hilfskraft an der University of Michigan (USA) gearbeitet und ist nach einigen Jahren als Head of News bei Radio Regenbogen und bigFM jetzt Nachrichtenjournalistin beim NDR Hörfunk in Hamburg. Mit diesem kombinierten Erfahrungsschatz bietet sie als Psychologin auch Coachings für Journalisten und Redakteure an, denn sie kennt die Stressquellen und psychischen Gefahrenherde ihrer Profession aus erster Hand. Doch Mareike ist auch immer noch Musikerin. Mit sechs Jahren begann sie Schlagzeug zu lernen, entdeckte schnell auch ihre kraftvolle Stimme und den Spaß „vorne“ auf der Bühne. Ihre musikalische Vielseitigkeit drückt sich am besten in ihrem Selbstbekenntnis auf den Socials aus – „Singer and performer in various bands ranging from Folk Country to Metal.“ Ihre wertvollen und sehr erfrischend realistischen Reflektionen zum Thema Perfektion vs. Performance zeugen von ihrer großen Liebe zur Musik. 

musiclab: Mareike, du hast uns zum 30. Jubiläum ein wunderbares Video geschickt, in dem du mit ganzem Herzen deine Prägung durchs musiclab schilderst. Wir haben uns wahnsinnig gefreut, insbesondere weil wir dich schon von Anfang an für unser Alumni-Special gewinnen wollten. Nun, ob du es glaubst oder nicht, bist du auch so eine Art Alumni-Blueprint für uns. Als du nämlich ins musiclab kamst, war uns allen klar, da ist jemand, die es wissen will. Deine Energie, mit der du etwas anpackst, hat uns alle umgehauen. Nun war es aber gleichzeitig auch so, dass wir das Gefühl hatten, du würdest eigentlich am liebsten gleich alles gleichzeitig anpacken. Nur wo soll die ganze Energie herkommen, und was ist besser, Diversifizierung oder Konzentration? Konnte dir das Lab bei dieser Frage behilflich sein?

Mareike: Bei mir ist es ganz klar auf Diversifizierung hinausgelaufen. Ob das besser ist, ist die Frage… Ich wollte mich nie einschränken lassen von einem Instrument, einem musikalischen Genre, oder überhaupt, einem Hobby oder Job. Das hat auf der einen Seite dazu geführt, dass ich mich im Gegensatz zu den anderen Alumni auf dieser Seite nie wirklich spezialisiert habe, also gemein gesagt, auch nie wirklich „gut“ in irgendetwas geworden bin. Andererseits finde ich das auch gar nicht so schlimm. Es gibt immer irgendwo irgendeine bessere Sängerin, eine krassere Schlagzeugerin, eine coolere Band. Ich bin dafür sehr breit aufgestellt und habe ein breites Verständnis für die Bedürfnisse anderer entwickelt. Das macht mich, glaube ich, zu einem guten Teamplayer, auch innerhalb einer Band. Ich fand es sehr schön, dass das Lab mich da immer verstanden und diese Vielseitigkeit gefördert hat. Bei mir waren zwar keine guten Soli zu holen, dafür aber auf jeden Fall viel Leidenschaft und vielleicht ein bisschen mehr Performancepräsenz, als wenn ich den ganzen Tag geübt hätte ;-). Musik hat mir dabei übrigens immer mehr Energie gegeben, als sie mich gekostet hat. Energie schöpft man ja oft nicht aus dem Nichtstun, sondern aus dem Tun von Dingen, die einen bereichern und inspirieren.

musiclab: „Schüchternes kleines Mädchen kann auch Rampensau“, eine Beschreibung von dir zu deiner Frühzeit im musiclab. Würdest du sagen, der frühe Bühnenkontakt hat dich auf irgendeine Weise geprägt?

Mareike: Das hat mich auf jede Weise geprägt! Ohne musiclab hätte ich viele ganz essenzielle Skills nicht gelernt, auf die ich jetzt in meinem privaten und beruflichen Alltag ständig zurückgreife. Werner Englert hat damals den Grundstein dafür gelegt, dass ich die Bühne heute nicht als Bedrohung sehe, sondern als ultimativen Safespace. Auf einer Bühne kann alles passieren. Man kann sich einerseits zwar vorbereiten, üben und so weiter, am Ende hat man es aber nicht in der eigenen Hand. Das kann einen lähmen oder aber es kann einen befreien. Auf der anderen Seite kann alles, was auf einer Bühne passiert, nämlich auch gewollt sein, so lange man es nur inszeniert. Und das wiederum heißt, dass auf der Bühne eigentlich überhaupt nichts schiefgehen kann. Genau das hat das Lab mir beigebracht, dass ich auf der Bühne alles sein kann und niemand mich verurteilt und dass ich auf der Bühne völlig frei bin, solange ich nur irgendeine Verbindung zum Publikum aufbaue. Das war ein richtiger Gamechanger für mich und mein weiteres Leben, weil ich diesen Ansatz seitdem auch auf meine restlichen Aktivitäten zu übertragen versuche, also sprich ins Radiostudio oder auf meine Coachings. Authentisch zu bleiben, auch in der Unsicherheit, und das Publikum und die „Macht“, die man in diesem Moment hat, zu genießen, anstatt sich Sorgen zu machen, das ist der Schlüssel. 

„Besser zu verstehen, warum wir tun, was wir tun, was uns antreibt, wie wir Entscheidungen treffen, hilft mir auch dabei, mich in der Gesellschaft zurechtzufinden.“

musiclab: Du beschreibst auch das Gefühl, Teil von etwas zu sein und dazuzugehören als eine positive Stütze, die dir die musiclab-Bandarbeit in schwierigen Phasen gegeben hat…

Mareike: Auf jeden Fall! Vielleicht sogar noch mehr als früher. Für mich war die Musik immer ein Fixstern, ganz egal, wie turbulent die Welt um mich herum wurde. Ein Mal in der Woche in der Probe nicht reden müssen, nicht cool sein müssen, einfach Musik machen können. Und auch gerade in der Pubertät zum Beispiel aktiv zu spüren, dass man wertvoll ist, dass man gemeinsam etwas gestaltet, etwas beiträgt, das hat mich öfter gerettet als den Herren Kaiser, Englert und Gerstle klar ist, glaube ich. 

musiclab: Wie ist das heute, eine Digitalzeitalter-Generation später. Kann gemeinsames Musizieren für Jugendliche heute noch identitätsstiftend sein?

Mareike: Ich glaube, sich zugehörig zu fühlen ist gerade in einer Zeit, in der Jugendliche zunehmend Probleme haben, sich mit etwas zu identifizieren, oft entwurzelt und auf Sinnsuche sind, noch viel wichtiger als früher. Und gerade in digitalen Zeiten ist es auch nochmal mächtiger und wichtiger, sich in der echten Welt zu verorten. 

musiclab: Offenbar haben es dir die Geheimnisse des Seelenlebens angetan. Warum möchtest du rausfinden, wie wir gestrickt sind?

Mareike: Ich finde Menschen in all ihren Facetten einfach interessant. Besser zu verstehen, warum wir tun, was wir tun, was uns antreibt, wie wir Entscheidungen treffen, hilft mir auch dabei, mich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Es liefert Erklärungsansätze für manches Verhalten und vielleicht auch dafür, warum die Welt ist, wie sie ist. Und vor allem kann ich so einen konstruktiven Beitrag leisten und Menschen dabei unterstützen, mit ihren Herausforderungen klarzukommen. Das finde ich ziemlich bereichernd. 

musiclab: Inhalt und Form unserer gegenwärtigen multimedialen Nachrichtenflut führen, so ein Begriff von dir, zu einer „Polytraumatisierung“ der Gesellschaft. Wie kann ich mich heute diesem Prozess auf ausgewogene Weise stellen, ohne auf Nachrichten zu verzichten? 

Mareike: Achtung, jetzt kommt die Leidenschaft durch, die das musiclab in mir gefördert hat. Vorneweg: Nachrichten zu ignorieren ist ein Privileg, das sich viele nicht erlauben können, weil zum Beispiel ihre Demokratie in Gefahr ist. Oder weil Informationen essenziell sind, um zu überleben. Deshalb finde ich, dass wir eine freie Presse und Qualitätsjournalismus mehr wertschätzen sollten. In einer Demokratie ist es notwendig, dass die Menschen informierte Entscheidungen treffen. Nachrichtenvermeidung entlastet uns vielleicht kurzfristig, langfristig ist sie aber gefährlich. Trotzdem kann ich es natürlich absolut und sehr persönlich nachvollziehen, dass Nachrichten unglaublich anstrengend und deprimierend sein können. Gerade nach den letzten Jahren höre ich von immer mehr Menschen, wie ausgelaugt sie sich fühlen. Pandemie, Kriege, Klimakrise… man kommt ja gar nicht mehr zum Durchatmen, zumindest fühlt es sich so an. Faktisch ist die Welt überhaupt nicht so schlecht, wie wir glauben. Eigentlich war sie sogar noch nie so gut. Unsere Lebenserwartung ist massiv gestiegen, die Kindersterblichkeit ist gesunken, viel weniger Menschen leben in extremer Armut, es gibt weniger Kriege und Leiden auf der Erde. Es fühlt sich aber halt nicht so an! Und das liegt meines Erachtens auch an der Art, wie wir Nachrichten machen. Ich bin deshalb ein großer Fan von „Constructive Journalism“. Dem liegt die Idee zugrunde, dass wir einerseits mehr positive Entwicklungen melden, vor allem aber auch lösungsorientierter berichten. Menschen brauchen das Gefühl von Kontrolle, um nicht zu verzweifeln. Wir wollen Handlungsmöglichkeiten, und die müssen die Nachrichten uns zeigen – „Best Practice“ Beispiele, in welchen Städten gibt es funktionierende Projekte gegen die Klimakrise, wie lassen Konflikte und Kriege sich lösen etc. 

Zum anderen wird dieses Gefühl der Überwältigung durch Nachrichten aber auch davon ausgelöst, wie wir Nachrichten konsumieren. Wir lesen nicht mehr morgens Zeitung und schauen abends die Tagesschau, sondern haben ständig ein Telefon mit Pushmeldungen, doomscrollen uns durch Twitter und so weiter. Wir sollten uns gezielter mit Nachrichten auseinandersetzen, und dabei auf Qualität setzen. Wir Menschen sind darauf gepolt, negative Reize schneller wahrzunehmen und besser zu verarbeiten als positive. Das liegt daran, dass es für unsere Vorfahren überlebenswichtig war, negative Dinge und Gefahren zu bemerken, sonst wären sie gestorben. Diejenigen, die nur auf Blumen und Sonnenuntergänge geachtet haben, waren zwar vielleicht glücklicher, haben sich aber nicht fortgepflanzt. Und diesen sogenannten „Negativity Bias“ haben wir bis heute. Deshalb müssen wir uns aktiv bemühen, positive und schöne Dinge im Leben wahrzunehmen. Dafür darf man dann ruhig auch mal ein paar Tage auf Nachrichten verzichten. Nur eben nicht für immer.

„Ich liebe Metal für seine Kraft, seine Energie, seine Echtheit und Ehrlichkeit, und für seine Vielseitigkeit.“

musiclab: Was macht unsere mediale Zerstreutheit mit unserer Kreativität? Verlieren wir die Fähigkeit, uns auf kreative Prozesse zu fokussieren, wenn wir nicht auch innehalten können? 

Mareike: Kreativität entsteht ja fast nie auf Knopfdruck. Viele Künstler:innen berichten, dass sie ihre besten Ideen unter der Dusche hatten, oder beim Spazierengehen im Wald. Weil die Ideen oft irgendwo im Unterbewusstsein entstehen, wo sie dann vor sich hin rumoren. Die Herausforderung ist, diese unbewussten kreativen Ideen dann in unser aktives Bewusstsein zu holen. Dafür braucht unser Gehirn aber Langeweile. Wenn uns langweilig ist, defragmentiert das Gehirn, damit die Gedanken sich wieder sortieren können. Das gönnen wir uns viel zu wenig heutzutage und ich glaube, darunter leidet auch die Kreativität.

musiclab: Welche Herausforderungen stellt dieser Befund deiner Meinung nach an Musikdozent:innen?

Mareike: Ich denke, gerade Musikdozent:innen sollten in einer Welt, in der es auch viel um Selbstoptimierung und -darstellung geht, einen Raum schaffen, in dem Dinge ohne Druck entstehen können. In dem man auch scheitern darf, in dem es langsam vorangehen darf. Beim Erlernen eines Instruments oder beim Spielen in einer Band gibt es eben keine „Lifehacks“ und keine Shortcuts. Man muss einfach die Zeit und Energie reinstecken und, und das ist glaube ich fast noch wichtiger, sich trauen, sich selbst auszudrücken. Sehr viele Menschen sind eigentlich kreativ, haben aber im täglichen Leben nicht die Muße, nicht die Zeit oder nicht die Gelegenheit, das auszudrücken. Ich glaube, dafür ist ein Ort wie das musiclab gut gewappnet. Das fand ich schon immer besonders schön am Lab, dass es eben nicht nur ein Ort ist, an dem Menschen handwerklich ein Instrument erlernen, sondern dass Musik als Magie betrachtet wird, dass die Schüler:innen ermutigt werden, an ihre kreativen Grenzen zu gehen, und ihnen so ermöglicht wird, Facetten an sich zu entdecken, die sie vorher nicht kannten. Mich hat das musiclab da auf jeden Fall in meiner Persönlichkeitsentwicklung immens vorangetrieben. Ich habe dort unglaublich viel gelernt über mich und die Welt.

musiclab: Du spielst nach langer Auszeit, in der du dich aufs Singen konzentriert hast, wieder Schlagzeug! Wie lange hattest du denn die Stöcke nicht mehr geschwungen? Wie fühlt es sich an, an ein Instrument „zurückzukommen“? 

Mareike: Puh, das war eine ganz schöne Herausforderung. Ich hatte 13 Jahre lang gar nicht gespielt und die Hoffnung, Schlagzeugspielen sei wie Fahrradfahren, etwas, das man nicht verlernt, hat sich leider noch schneller zerschlagen als ich mein sprödes altes Snarefell. Das Gehirn wusste noch wie’s geht, aber die Hände und Füße haben’s einfach nicht mehr gemacht. Das hat erstmal ganz schön für Frust gesorgt. 

musiclab: Hast du Tipps, wie sich solche Frusterlebnisse beim Wiederentdecken eines Instruments vermeiden lassen?

Akzeptanz. Sich auf seine Stärken konzentrieren. Ich werde nie eine technisch brillante Schlagzeugerin werden, aber ich habe ein gutes musikalisches Verständnis, das heißt, ich mache lieber weniger als mehr und versuche, die Band nach vorne zu bringen. Und wenn nicht mal mehr das klappt, muss ich wenigstens gute Laune auf der Bühne verbreiten, das kann ich auf jeden Fall. Eigentlich sind das die Grundsätze, nach denen ich auch mein Leben abseits der Bühne zu gestalten versuche. Ich hab’s ja vorhin schon gesagt: Wir konzentrieren uns oft auf die negativen Dinge. Auf das, was wir alles nicht (mehr) können, anstatt uns bewusst zu machen, wie viel wir schon hingekriegt haben, was uns als Persönlichkeiten ausmacht und wo unsere Stärken liegen. Und wenn nicht mal mehr das klappt: Spaß haben.

musiclab: Du warst Sängerin u.a. bei der Symphonic Metal Band Coronatus (dort fast zehn Jahre) und hast mit der Band vier Alben eingespielt. Wie hast du das alles während deiner Arbeit untergekriegt?

Mareike: Keine Freunde, keine Kinder, keine Hobbies ;-). Spaß beiseite, tatsächlich ließ sich das erstaunlich gut vereinbaren. Ich war bei Coronatus eher ausführende Kraft, hatte also mit dem kreativen Prozess gar nicht so viel zu tun. Das ist aber das, was in einer Band üblicherweise die meiste Zeit und Kraft kostet. Und klar, Musik spielt seit über 30 Jahren eine große Rolle in meinem Leben. In den Zeiten, in denen dann Tour oder Studio anstehen, müssen andere Dinge tatsächlich auch mal zurückstehen.

musiclab: Welche Facetten des Metal faszinieren dich als Musikerin?

Mareike: Selbst als Metalmusikerin auf der Bühne zu stehen, finde ich als Spielform sehr spannend. Da gehört mehr Theatralik dazu als in anderen Genres, mehr Inszenierung. Man kann für einige Stunden in eine Rolle schlüpfen und sich ausprobieren. Als Zuhörerin hat Metal für mich etwas Hypnotisches. Irgendwo habe ich mal gelesen, Metal sei die „Release of Passion“, und das würde ich unterschreiben. Ich liebe Metal für seine Kraft, seine Energie, seine Echtheit und Ehrlichkeit, und für seine Vielseitigkeit. Hoffentlich haben der Metal und ich das gemeinsam.  

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TEIL 3: IMPROVISATION IST CHARMANTES, AUTHENTISCHES MUSIKALISCHES SUCHEN NACH EINEM INTERESSANTEN WEG ZUM EIGENEN AUSDRUCK –
JULIAN MAIER-HAUFF (ANALOGER SOUNDDESIGNER), MÄRZ 2020

„Ich lerne gerne neue Instrumente und schaue, welche Klänge ich darauf mag und wie ich meine Klangvorstellung erweitern kann.“

Julian Maier Hauff hat Jazztrompete studiert und sich intensiv mit Elektronik auseinandergesetzt. Das Verbindungsglied findet er in der Improvisation. Wenn das Ganze dann auch noch live stattfindet ist Julian im Element. Und das ist er mittlerweile sehr oft. Seine Gigs sind ein Fest, „ein bisschen am Techno rumschrauben und gleichzeitig die Trompete ölen“, so begeistert er sein tanzwütiges Publikum. Im Interview erklärt er sein Verhältnis zu Improvisation, Analogem und Digitalem und zum gegenwärtigen Musikmarkt. Erfrischende Ansichten… facebook.com/julianmaierhauffofficial

musiclab: Julian, Improvisation – Musik aus dem Moment – ist für deine Auftritte eine Selbstverständlichkeit geworden. Ist „Live-DJ“ die richtige Bezeichnung dafür?

Julian: Der Begriff DJ ist da ein wenig missverständlich. Genau genommen legt ein DJ (Disk Jockey) mit Platten Musik auf, die bereits produziert, gemischt und veröffentlicht wurde. Heutzutage reicht dafür in den meisten Fällen ein USB-Stick, den man in ein wie ein Plattenspieler aussehendes Gerät steckt, das einem auch automatisch die Tempi der jeweiligen Stücke anpassen kann. Das ist aber nicht das, was ich mache. Ich bediene quasi live ein Tonstudio, das ich auf der Bühne aufgebaut habe. Ich kreiere die Songs live aus dem Moment heraus und danach wird es diesen Moment auch nie wieder so geben. Eine kleine Jamsession mit mir selbst sozusagen.

musiclab: Und wie bereitest du dich auf einen Gig vor?

Julian: Man kann sagen, dass ich mich gleichzeitig seit Jahren und ebenfalls auch „nicht“ auf Gigs vorbereite. Ich beginne mit einem Element und entwickle sozusagen fließend Motive und Ideen immer weiter. Ich jongliere mit Melodien, Harmonien, Basslines, Drums und Effektsounds – komponiere und arrangiere sie. So eine Art Kollektivimprovisation mit mir selbst.

„Was heute in Zeiten von Online-Tutorials immer wichtiger wird, ist die Vermittlung von musikalischen Inhalten durch ein geduldiges Gegenüber..“

musiclab: Improvisation ist ja auch das musiclab-Steckenpferd. Was stellt das aus deiner Sicht für Herausforderungen an uns Dozenten? 

Julian: Improvisation ist gleichzeitig leicht und schwer zu unterrichten. Leicht, weil wir jede Sekunde unseres Lebens improvisieren. Kein Moment ist exakt kalkulierbar und es ist nicht menschlich, Handlungen exakt und fehlerlos auszuführen. Wir tun Dinge, analysieren ihren Verlauf und reagieren so, dass wir Abweichungen zielführend ausgleichen, sozusagen gerade noch die Kurve kriegen, um zum Ziel zu kommen. Kreativität, bzw. Improvisation ist für mich quasi charmantes, authentisches musikalisches Suchen nach einem interessanten Weg zum eigenen Ausdruck. Das ist knifflig zu vermitteln, da man erstmal versuchen muss, den Schüler*innen beizubringen, sich nicht dauerhaft zu bewerten, um flexibel zu bleiben. Sie müssen erst ablegen, von Fehlern gehemmt zu werden, um weiterhin reagieren zu können und sich wieder in eine Komfortzone begeben können. Das, was diese Komfortzone vergrößert, ist Musiktheorie, Vokabular. Es ist ein Gerüst, mit dessen Hilfe man sich durch Stücke hangeln kann. Je stärker dieses Gerüst, umso größer die Freiheit und umso mehr Möglichkeiten hat man. Ich will aber auch noch hinzufügen, dass es als Lehrender nicht ganz einfach ist, Improvisation zu bewerten, sprich, den Unterschied von „Das ist so gewollt“ und „Der/Die Schüler/in macht einfach irgendetwas“ herauszufinden…

musiclab: Wie hast du dich damals selbst aufgehoben gefühlt?

Julian: Sehr gut. Ich hatte meinen ersten Klavierunterricht bei Tobi Rädle. Auch wenn ich nie wirklich umsetzen konnte, was ich mir vorgestellt hatte, war ich stets fasziniert von den Möglichkeiten des Instruments. Grundsätzlich haben Tobi und danach John Sahutske immer versucht einen Weg für mich auszuleuchten, waren aber nicht geknickt, wenn ich wo anders hingelaufen bin. Oft habe ich statt vorbereiteter Stücke neue Fragen mitgebracht und wir haben daran gearbeitet. Das hat mir immer gut gefallen und mich weitergebracht. Ich glaube, was heute in Zeiten von Online-Tutorials immer wichtiger wird, ist die Vermittlung von musikalischen Inhalten durch ein geduldiges Gegenüber. Jemand, der/die einem sagt, wo man gerade steht und wie man sich musikalisch festigen kann. Das Streben nach Perfektion birgt das Risiko, dass man den Spaß an Etappenzielen verliert. Eine Person, die ein bisschen den Überblick behält und sagen kann „Schau mal, das ist doch genau das, was wir geübt haben und das kannst du hier, hier und da einsetzen und dann geht das viel leichter“. Der Transfer ist wichtig. Das wurde zu meiner Zeit am musiclab stets gelebt. 

musiclab: Du fühlst dich ja offensichtlich in jedem Setting wohl, alleine oder mit Band, was bedeutet es für dich, sich in eine Band einzufügen?

Julian: In Bands bin ich gerne der charmante Lückenfüller. Durch meine Art zu musizieren, bin ich oft auf der Suche nach dem musikalisch kleinsten gemeinsamen Teiler. Welches Element kann ich anbieten, das nicht sperrig klingt, aber dennoch einen wichtigen klanglichen Unterschied macht? Das macht mir Spaß. Klare Melodien, die im Kopf bleiben, mal einfach nur einen Ton halten und ihn ausgestalten, hier mal ein anderes Instrument, da mal einen Soundeffekt. Häufig wird nach meinen Soli nicht geklatscht – nicht, weil sie schlecht sind, sondern weil ich versuche, mein Instrument aus dem Stück auftauchen zu lassen und fließend wieder in den Song zu integrieren. Es findet kein Cut statt. Keine harte Kante. Das mag ich, ich mag es, wenn die Textur des Songs erhalten bleibt und sich der/die Solist/in nicht von der Band abspaltet. 

musiclab: Ein aktuelles Bild zeigt dich mit zehn Instrumenten, siehst du dich als Gebläseforscher?

Julian: Ich sehe mich als analogen Sounddesigner. Ich lerne gerne neue Instrumente und schaue, welche Klänge ich darauf mag und wie ich meine Klangvorstellung erweitern kann. Es inspiriert mich, wenn ich versuche, eine Trompete wie ein Saxophon zu spielen, oder wenn ich erkenne, was ich bei der Posaune für klangliche Möglichkeiten habe, die mir bei der Trompete fehlen könnten. Daher habe ich für mich auch ein eigenes Instrument entwickelt. Es ist, salopp gesagt, eine Trompete mit Modwheel, eine Trompete mit Slide, der es mir ermöglicht, von jedem Ton aus bis zu einem Ganzton nach oben oder nach unten zu gleiten. Den gleichen Bogen versuche ich auch in der analogen Klangerzeugung zu spannen – Synthesizer klingen lassen wie Blasinstrumente und umgekehrt. Man öffnet sich und sieht Möglichkeiten statt Grenzen. 

„Ich hoffe, dass die Nachfrage nach authentischer Musik, nach echten Erlebnissen und nicht nach dem digitalen Abklatsch davon wieder steigen wird.“

musiclab: Mit so viel spielerischen Möglichkeiten bist du zum gefragten Musiker und Live-Set Performer geworden. Fünf Uhr morgens schlafen gehen gehört zu deinem Alltag. Bekommst du da auch eine feste Beziehung unter?

Julian: Ja. Das ist zwar alles andere als selbstverständlich, aber es klappt. Vielleicht ist es einfacher, eine Beziehung zu führen, bei der beide Menschen den gleichen Tagesrhythmus haben, aber ich bin immer noch selbständig und kann versuchen, meine Arbeitszeiten bestmöglich zu legen. Ich kenne es ja auch nicht anders. Oft hilft es mir auch, wenn ich sagen kann „Das ist mir ein freier Samstag bzw. ein Abend daheim wert, um mich nicht unnötig zu verausgaben“. Eine Beziehung ist ja auch deshalb wichtig, um einen konstruktiven Gegenpol zu haben – um sich zu spiegeln. Ich denke, diese Rolle können meine Freundin und ich trotz unterschiedlicher Arbeitszeiten ganz gut füreinander einnehmen – und wenn man sich sieht, hat man dann die ganze Zeit für sich.

musiclab: Gear-Talk Julian, was sind die allerwichtigsten Instrumente oder Geräte für deine Live-Sets? 

Julian: Ich könnte jetzt „meine Ohren“ sagen, aber das ist Banane. Hmm, dennoch schwierig, das zu beantworten. Das ist ein wenig so, als würde man einen KFZ-Mechaniker fragen, was sein Lieblingswerkzeug ist. Es gibt unterschiedliche Geräte für unterschiedliche Zwecke. Ich verwende viele Elektron-Geräte. Das sind Synthesizer eines schwedischen Herstellers, die einen Sequenzer eingebaut haben. Man kann daher die Sounds gestalten und sie auch direkt in dem Gerät arrangieren. Das Arrangieren ist die Aufgabe eines Sequencers. Ansonsten habe ich neben einem klassischen Moog Model D Nachbau, der super für Bässe geeignet ist, einen Klon – sprich Nachbau – einer Roland TB303 im Set, ein analoges Modularsystem – sieht aus wie ein Telefonkasten –, ein paar Drumcomputer, ein Mischpult und ein bisschen Effekt-Gedöns, also Delays, Reverbs etc. Das wandelt sich aber auch hin und wieder etwas.

musiclab: Das erste reine Moog-Album stammt von 1969. Die Entwicklung vom Synthesizer zur digitalen Musikproduktion und Techno, Trance, House, etc blickt bereits auf über 50 Jahre zurück. Wohin geht deiner Meinung nach die Reise weiter?

Julian: Lustigerweise ist elektronische Musik schon viel älter als man denkt. Das Theremin, das erste elektronische Instrument wurde bereits 1920 entwickelt. Das ist nur 40 Jahre nach der Erfindung der Ukulele, oder 30 Jahre nach der Erfindung des Sousaphons. Ich finde es auch spannend, dass wir uns momentan in einer Zeit befinden, in der sehr viel Musik Retrofuturismus ausdrückt. Sprich, das, was in den 70ern, den 80ern und den 90ern als Futuristisch angesehen wurde, wird mit heutigen Mitteln nachgeahmt. Der erste Techno-Hype liegt bereits 30 Jahre zurück, dennoch werfen Hersteller wie Behringer, Roland und Korg Nachbauten der mittlerweile zu Legenden gewordenen Synthesizer auf den Markt. Ich glaube, das trifft den Zeitgeist aber ganz gut. Die Gesellschaft ist verunsichert, was die Zukunft angeht. Trend ist, was authentisch scheint, im Bereich der Instrumentalmusik ist das Folk-Pop, der Liedermacher/die Liedermacherin, der/die mit ihrem eigenen Vornamen für ein Pop-Produkt steht so wie Lena, Mark Forster, Joris, etc. Frei nach dem Motto „Dafür stehe ich mit meinem Namen.“ Wer die Songs wirklich schreibt, ist dabei nicht so wichtig. Bei Techno sieht es ähnlich aus, nur dass die Referenzen eine kürzere Zeit zurück liegen. DJs legen Acid auf, spielen harten, rauen Techno, wie in den guten alten Zeiten. Damals, als die Leute drauf abgingen, wenn man eine Roland 909 und eine Roland 303 in ein Mischpult gestöpselt hat, den Kanal komplett übersteuert und das dann auf eine Kassette aufgenommen hat, die rauschte wie ein Laubbläser. Auch in diesem Bereich der Musik sind Ghost- Produzenten an der Tagesordnung. Man darf nicht vergessen, dass die Musikindustrie einfach eben eine Industrie ist. Dinge werden kopiert, vervielfältigt und für Figuren mit einer starken Öffentlichkeitswirksamkeit, die als Werbeträger fungieren, produziert. Mit den technischen Möglichkeiten, die wir heutzutage haben, werden Playback-Shows gespielt, werden Live-Videos im Studio eingespielt, wird mit Autotune nachgeholfen. Ich hoffe, dass die Nachfrage nach authentischer Musik, nach echten Erlebnissen und nicht nach dem digitalen Abklatsch davon wieder steigen wird. Vielleicht das zum Abschluss: Wer lokales Gemüse kauft und darauf achtet, wie das Obst angebaut wurde, sollte sich bewusst sein, dass das Nachhaltigste, was man im Kulturbereich tun kann, ist, eine lokale Band zu unterstützen. Diese Bands haben meistens kein Interesse daran, ihr Publikum zu blenden und machen in der Regel einen Großteil der Arbeit, die hinter der Musik steckt selbst.

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TEIL 2: EIN KLEINES STÜCK ZUM GROSSEN MUSIKENTWICKLUNGSPUZZLE HINZUFÜGEN – INGO HIPP (SAXOPHONIST) MAI 2019

„Ich habe für mich im Moment den Anspruch, „Kunst“ zu machen, ohne abstrakt werden zu wollen.“

Ingo Hipp hat 2014 an der Hochschule Luzern den Master in Saxophon und Komposition abgeschlossen. Seit 2013 ist er mit seiner Band AERIE, die 2018 bereits ihre zweite CD „Sonic“ veröffentlicht hat, weltweit unterwegs. 2015 war er einziger Stipendiat im Bereich Jazz der Kunststiftung Baden-Württemberg. Ingo geht es darum, mit seiner Musik „neue Wege zu finden um verschiedene Elemente zu verbinden – ob Jazz, Rock, Funk, Pop oder Avantgarde, Free oder Minimal, alles sind Einflüsse, die mich geprägt haben und die ich in meine Musik einfließen lasse“. www.ingohipp.com

musiclab: Ingo, was hatte für dich letztlich den Ausschlag gegeben, Saxophon und Komposition zu studieren?

Ingo: Ich hatte im Abitur den Schwerpunkt Musik und habe im musiclab und mit den Funky Devilz von Werner Englert viel Musik gemacht, dadurch war das Musikstudium dann irgendwie der nächste logische Schritt. Und außerdem reizte mich ein bisschen die Herausforderung, ob ich aufgenommen werde, ob ich es schaffe…

musiclab: Und wie du es geschafft hast! Du bist gerade Vater geworden, da verändert sich gewöhnlich die Perspektive. Gibt es noch andere professionelle Betätigungsfelder für dich oder dreht sich alles um die Musik?

Ingo: Naja, ich möchte gerne Musik als mein Hauptfeld sehen, aber letztendlich habe ich drei, vier Jobs gleichzeitig. Unter anderem betreibe ich mit der Familie ein kleines Unternehmen, mit dem wir Weine aus Italien importieren und kleine Feinschmecker-Weinreisen zu unseren Winzern organisieren (vinocolo.de). Außerdem arbeite ich immer wieder als Soundengineer und gebe Saxophonunterricht. Im Moment passt das so für mich, denn es gibt mir die Flexibilität, die ich brauche und einen finanziellen Grundstock. Gleichzeitig ist es aber auch anstrengend, es erfordert viel Organisation und Kraft, immer wieder den Schalter umzulegen und für den jeweiligen Job ready zu sein. Vater bin ich nun ja erst seit einigen Wochen, da bin ich noch in der Findungsphase. Ich schätze mal, dass sich vor allem das Zeitmanagement verändert, also die Entscheidung, wie viel Zeit verbringe ich mit der Familie oder am Schreibtisch oder auf der Bühne.

„Ein Bandleader muss einen Teil seiner Lust auf Musik mit Lust auf Schreibtischarbeit ersetzen.“

 musiclab: Du warst als junger Schüler bei Werner Englert, Krischan Lukanow und Dieter Gutfried, was war das Wichtigste, was du aus dem musiclab mitnehmen konntest?

Ingo: Das Wichtigste am Musik machen ist das gemeinsame Musizieren. Klar, solo spielen hat auch seinen Reiz, aber das Faszinierendste an der „Sprache Musik“ ist für mich die Möglichkeit, mit verschiedensten „Stimmen“, Charakteren und Persönlichkeiten zusammen ein Musikstück zu „produzieren“ bzw. zu kreieren oder zu improvisieren. Das war immer ein wichtiges Thema im musiclab, sobald man ein Instrument halten konnte – oder auch schon vorher – wird mit anderen gespielt, gejammt und alle haben Spaß daran.

musiclab: Wie erklärst du deiner Oma, dass es für einen Jazzmusiker und -komponisten nicht darum geht, einen Hit zu schreiben?

Ingo: Haha, naja das ist tatsächlich schwer! Aber nicht nur bei meiner Oma… Naja, ich vergleiche das immer mit Ikea und einem Schreiner. Ich versuche, liebevoll mit Handwerkskunst Möbelstücke herzustellen, jedes ein Unikat und an sich unbezahlbar, ein bisschen um des Schreinerns willen, es geht nur um das Möbel. Ikea dagegen ist schnell, billig, erfüllt aber den Zweck. Nicht, dass jeder Hit billig ist, aber er ist eher ein Produkt, mit Marketinganalyse, psychologisch optimierter musikalischer Struktur etc. Ich habe für mich im Moment den Anspruch, „Kunst“ zu machen, ohne abstrakt werden zu wollen. Ich möchte etwas beitragen zur Musikgeschichte, ich strebe nach einem „Fortschritt“ in der Musik, auch wenn mein Beitrag noch so klein und evt. unbedeutend ist. Altes immer wieder zu spielen, wenig zu verändern, kopieren, das ist für mich keine Option in meiner Musik. Jazzstandards begreife ich als internationale Sprache, als Fundus, aber für das, was ich ausdrücken möchte, brauche ich andere Mittel. Beim Ausprobieren und Experimentieren entstehen immer Sackgassen und Fehlentwürfe, das war schon immer so, ob in der Kunst oder in der Wissenschaft. Vielleicht ist meine Musik – ohne Hits – eine solche Sackgasse, Angst davor habe ich im Moment keine. Aber ich hoffe eben, dass meine Musik ein kleines Stück zum großen Musikentwicklungspuzzle hinzufügt.

musiclab: Deine Band AERIE setzt sich aus internationalen Musikern zusammen. Welche besonderen Eigenschaften braucht ein Bandleader, um so ein Projekt erfolgreich zu managen?

Ingo: Er muss einen Teil seiner Lust auf Musik mit Lust auf Schreibtischarbeit ersetzen. Ich verbringe für diese Band täglich viele Stunden am Schreibtisch, um Tourneen zu organisieren, die Musiker zu koordinieren, Öffentlichkeitsarbeit zu machen und CD-Aufnahmen zu planen. Außerdem erwartet sowohl der kleinste Jazzclub als auch jeder einzelne Jazzhörer heute eine Homepage, ein Facebook-Profil, möglichst kreative Youtube-Videos, aktuelle Pressefotos etc. Für all das gibt es tolle Profis und Experten, die ich mir aber alle nicht leisten kann und somit mache ich 98 Prozent selbst. Der Ruf des Musikers hat immer noch etwas von „in-den-Tag-leben“, aber ich plane mit meinen Projekten immer zwei Jahre im Voraus! Am Ende möchten viele Leute Musik hören, ohne dafür zu bezahlen, und wenn dann der Hut rumgeht, wirft man das übrige Kleingeld rein. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig Menschen bereit sind, für ein Konzert etwas zu geben, bzw. wie schlecht sie den Wert schätzen können. Um das immer wieder zu vergessen und dennoch weiter zu machen, braucht es eine dicke Haut und einen nie endenden Optimismus.

„Ich glaube, dass am Ende die in der „echten“ Welt geknüpften Kontakte und Verbindungen das Wichtigste bleiben.“

 musiclab: Es ist demnach alles andere als einfach, sich heute als Jazzmusiker profilieren zu können? Hast du einen Tipp?

Ingo: Ja, ich denke, es ist sehr schwer geworden und es wird noch schwerer werden. Es gibt immer mehr Bands und ausgebildete Musiker. Wie bereits angesprochen, denke ich, dass das Durchhaltevermögen irgendwann den Unterschied macht. Die Musiker oder die Band, die es länger schafft, sich selbst zu motivieren, wird dann bessere Chancen haben. Auch in diesem Bereich geben die Sozialen Medien andere Möglichkeiten und Chancen als früher, ich bin noch nicht mit diesen Dingen aufgewachsen und benutze sie eher oberflächlich. Daher denke ich, dass es für eine jüngere Generation wieder andere Möglichkeiten gibt, daher ist es schwierig, hier einen Tipp zu geben. Ich glaube aber, dass am Ende die in der „echten“ Welt geknüpften Kontakte und Verbindungen das Wichtigste bleiben. Daher evt. höchstens der Tipp, mit möglichst vielen Musikern von überall her zusammenzuspielen und sich auszutauschen.

musiclab: Was sind deine nächsten Ziele als Papa und Musiker?

Ingo: Hmmm, mein Ziel als Papa ist, immer Freude am Moment mit meiner Tochter zu haben. Die Langsamkeit wieder zu entdecken und die Faszination für simple Dinge mit ihr zu teilen. Als Musiker würde ich gerne nach langem Auslandaufenthalt wieder mehr in der Freiburger- und der Baden-Württemberger Szene aktiv sein. Ich werde weiter experimentieren, mal sehen, wo es mich hinführt.

musiclab: Vielen Dank Ingo, wir freuen uns auf deine Zukunftsmusik…

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TEIL 1: SPASS HABEN, SPASS SUCHEN, SPASS FINDEN – FREDERIK HEISLER (SCHLAGZEUG) DEZEMBER 2018

„Mich interessiert das Mischen der Stile viel mehr als das Puristische und Dogmatische.“

Frederik Heisler begann seine Trommlerkarriere im musiclab, danach studierte er Jazz in Basel und Spanien. Heute studiert er Medizin in Freiburg, unterrichtet, spielt und produziert weltweit mit den verschiedensten Formationen. Als Kind und Jugendlicher verbrachte er jeden Sommer auf dem ZMF, das von seinem Vater gegründet wurde. Mehr musikalische Bandbreitensozialisation kann man sich kaum wünschen. www.fredheisler.com

 

musiclab: Frederik, du bist ja alles andere als auf einen Stil bzw. ein Genre fixiert, wie erklärst du dir deinen musikalischen Horizont?

Frederik: Ich bin der Auffassung, dass wir als Künstler nicht die Aufgabe haben sollten, zu erklären, was wir wie und warum machen. Was wir tun ist: wir tun. Wir sammeln unsere Perlen, egal wo und wie. Die, die uns gefallen, behalten wir – das können Filme, Bilder, Gedichte, Menschen, Comedians, Partys, Länder, Kulturen, Gerichte und vieles mehr sein. Das, was mich interessiert, was mich neugierig macht und was mir Spaß macht, das was in mir einen Drang zur Mitteilung auslöst, das setze ich dann um in meiner Kunst.
In der Hoffnung, nicht wie ein Oberlehrer zu klingen, frage ich mich: Sollte oder will ich mich durch Grenzen, Stile oder Genres einschränken? Ich glaube nicht. Mir bereitet so viel verschiedenes Freude, da möchte ich mich nicht einschränken lassen. Aber: Nun habe ich als Schlagzeuger ja auch eine klare Rolle innerhalb der Musik. Je nach Kontext ist diese mehr oder weniger definiert. Und als Instrumentalist gilt es auch, seinen Job zu machen. Und es gilt, diesen gut zu machen.
Eine Anekdote: Bei einem Konzert mit einer brasilianischen Combo wurde ich vom Publikum getadelt. Wir spielten traditionelle brasilianische Musik und ich kramte meine südamerika-assoziierten Perlen heraus. Die Leute sagten mir, ich würde gewisse Stilistiken nicht korrekt wiedergeben, es sei nicht so, wie dieser Stil zu spielen sei und waren enttäuscht. Nur kurze Zeit später spielten wir vor demselben Publikum wieder südamerikanische Stücken, diesmal aber mit einem Jazz-approach. Sie waren begeistert davon, wie geschickt ich doch die Tradition mit der Moderne verbände.
Dahinter steht für mich Folgendes: So lange ich ein persönliches Verlangen spüre, den Dingen auf den Grund zu gehen, dann arbeite ich mich tiefer In Stile, Historie und Instrumente ein. Merke ich allerdings, dass ich es aus eigenem Interesse nicht mehr weiter treiben würde und ich auch keinen Job in diesem Kontext zu erledigen habe, dann lasse ich es sein. Es muss für mich(!) reichen, dass ich in den verschiedenen Stilen und Genres mein Bestes nach bestem Wissen und Können gebe. Für andere reicht das dann eventuell nicht – doch dafür gibt es Spezialisten auf den verschiedenen Gebieten. Mich interessiert das Mischen der Stile viel mehr als das Puristische und Dogmatische.

musiclab: Du kamst bereits mit sechs Jahren zu uns. Was konnte dir denn das musiclab auf deine musikalische Lebensreise mitgeben?

Frederik: Ich konnte mich ja bislang nicht gerade kurz fassen aber diese Frage zu beantworten… da muss ich ausholen: Ohne musiclab, wäre ich nicht Schlagzeuger geworden, ich hätte einfach nicht das Niveau gehabt, um eine Aufnahmeprüfung an einer Hochschule zu bestehen. Ich hätte den Mehrwert der musikalischen Ausbildung für mich persönlich als Freund, Vater, Lehrer, Student und vor allem als Mensch womöglich nicht in der Tiefe erleben dürfen, wie es jetzt der Fall ist. Ich hätte deutlich weniger tolle Instrumentallehrer und ihre Methoden, Energie und Ideen erleben dürfen. Da gehören Oli Kaiser gemeinsam mit Uwe Kühnert als Grundsteinleger dazu. Oli hatte zum Beispiel die Größe, mich an Hansjörg Reichenbach als Lehrer weiterzugeben, obwohl wir so viel Spaß hatten und auch inhaltlich vorankamen. Das macht nur ein Lehrer, dem es um nichts als das Beste für seine Schüler geht. Dann schlussendlich auch der Unterricht mit Arno Pfunder, der didaktisch nicht nur für mich bis heute – selbst mit einigen Professoren im Rücken – einen Maßstab gesetzt hat, was sich ja auch in den Entwicklungen seiner Schüler wie Daniel Mudrack, Konstantin König etc. zeigt. Ich hätte den Spaß am Instrument wohl nicht erkannt, denn das musiclab ist einzigartig in der Förderung von Ensembles und Bands im Zusammenhang mit Auftrittsmöglichkeiten von Stunde Null an.
Last but not least: Ich hätte musiclab-Gründer Werner Englert nicht getroffen. Und das hätte richtig fatale Folgen gehabt! Denn Werner verdanke ich musikalisch neben meinen Eltern so ziemlich alles; auch wenn ich mir viel selbst erarbeitet habe und natürlich nach dem musiclab meinen eigenen Weg gegangen bin. Aber den Spirit für Kultur, das Vertrauen in mich als Zwerg mit zwei Stöcken, die Begeisterung für Action, die Besessenheit, Projekte mit uns jungen Musikern niveauunabhängig zu realisieren und auch öffentlich zu präsentieren, die Offenheit für Stile, den Gedanken und den Sinn der Jamsession als Zentrum des Jazz, die ermöglichten Konzertreisen und die Freunde fürs Leben die ich in seinen Bands fand, sind immer noch nur ein Bruchteil davon, was mir durch Werner in Bezug auf mich als heranwachsenden Musiker mit so viel Liebe vermittelt wurde.

 

„Für mich wurde Musik ganz einfach zu einem Mittel für soziale Erlebnisse.“

 musiclab: Die Musiklandschaft hat sich in den letzten zehn Jahren ziemlich verändert. Was muss ein junger Drummer heute mitbringen, um im Profilager bestehen zu können?

Frederik: Es ist wichtig, zumindest grob eine Idee davon zu haben, wo man als Schlagzeuger hin will: auf die Bühne, ins Studio oder Schlagzeug lehren. An einem bestimmten Punkt habe ich mich gefragt, wodurch bin ich so gut geworden, dass mir gewisse Dinge in Bezug auf das Schlagzeug bis hierhin wiederfahren sind? In meinem Fall war es die Möglichkeit, mit älteren Musikern zusammenzukommen und in Locations spielen und feiern zu dürfen, in die ich ohne die Fähigkeit „Schlagzeug spielen“ beispielsweise wegen des Alters gar nicht reingekommen wäre. Das hat einfach „Spaß“ gemacht – das heißt: Für mich wurde Musik ganz einfach zu einem Mittel für soziale Erlebnisse.

Für einen Drummer gibt es heute im Grunde fünf sich durchaus ergänzende Möglichkeiten, auf denen er aufbauen kann:

  • Man spielt in Bands und wird für Jobs gefragt, was, wie ich finde, sehr unwahrscheinlich ist ohne starke Co-Skills wie Organisation, Strukturierung und Kommunikation. Oder man hat gar aufgrund seines Könnens einen festen Job bei einer Institution (Radio, Theater, Fernsehen o.ä.),
  • Man ist erfinderisch, wirtschaftlich umtriebig und baut sich seine eigene Marke als Person auf – relativ unabhängig von einer Band: z.B. als YouTube-/Messe-/DVD-Drummer,
  • Man wird Schlagzeug- bzw. Musiklehrer,
  • Man hat seine eigene Formation und hat dadurch im Grunde eine Firma in der Musikbranche (Anteil des Schlagzeugerdaseins hier geschätzt unter 20 Prozent)
  • Man hat ein schlagzeug- bzw. instrumentenunabhängiges Einkommen – einen anderen Job also.

„Mein Keller sieht aus wie ein Trommelflohmarkt“ 

 musiclab: Welchen Tipp möchtest du angehenden Schlagzeugern mit auf den Weg geben?

Frederik: Spaß haben, Spaß suchen, Spaß finden. Das, was Spaß macht, weitermachen und versuchen, zu erhalten. Potenzielle Spaßsituationen selber organisieren und sich mit den bestmöglichen Menschen und Musikern umgeben. Mit Freunden Musik machen. Ich bin der festen Überzeugung, dass man nur in den Dingen exzellent wird, für die man sich nicht zu sehr motivieren muss, um mit der Arbeit anzufangen oder zu investieren. Das, finde ich, geht mit Freunden am besten. Man sollte sich dann aber an einem Tag X die Fragen stellen: Soll bzw. kann ich das auch professionell machen?

musiclab: Zum Abschluss, Frederik, Geartalk. Auf was spielst du zurzeit?

Frederik: Drums: Ich bin seit ein paar Jahren stolzer Endorser (Werbeträger) der japanischen Marke Canopus. Eine kleine Firma, die sich auf die Fahnen geschrieben hat, stilunabhängig den alten Sound der großen Live-Musik-Ära und ihren Drumsets zu regenerieren. Sie bauen unglaubliche Sets für alle Stile. Zudem lassen sich z.B. die Jazzkits mit höchstem Klangniveau zu HipHop-Kits umfunktionieren und und und… Ansonsten bin ich nicht mit Marken verbunden, ich mache in der Regel die Augen zu und verlasse mich auf mein Gefühl und meine Ohren. Mein Keller sieht aus wie ein Trommelflohmarkt und genau so puzzle ich mir dann auch sehr gerne immer wieder meine Sets fürs Studio und die Bühne zusammen.
Becken: Als Jazzer ist man hier wahrscheinlich ein Leben lang auf der Suche nach dem einen Becken. Ich kann mich jetzt schon sehr glücklich schätzen, denn in meiner Zeit in Barcelona habe ich ein 20“ Spizzichino vermacht bekommen. Ich kann mir nur schwer vorstellen, in meinem Leben noch einmal ein Becken von dieser Qualität zu finden. Was meine anderen Becken anbelangt, so suche ich nach wie vor. Sehr happy bin ich mit einem alten 22“ K-Zildjian aus den 50er-Jahren, aber auch ein nachbearbeitetes 24“ Zildjian aus einer Anniversary-Serie. Ich habe allerdings auch sehr viel kaputte und trashige (Müll-)Becken, die super einzusetzen sind.
Sticks: Sticks machen auf Becken einen Unterschied wie Tag und Nacht. Unbedingt mal ausprobieren – Tropfenkopf, Kugelkopf und und und. Ich spiele hier traditionell den Vic Firth Peter Erskine SPE2.

musiclab: Vielen Dank, Frederik. Alles Gute and keep on drumming…

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